Mittwoch, 18. März 2015

Israel hat gewählt.



Als ich gestern zu Bett ging, lagen das linksgerichtete „Zionistische Lager“ und die „Likud“ gleich auf (27 : 27).
Ich ging mit dem Gedanken schlafen, dass das „ZL“ und Yitzhak Herzog das Vertrauen erhalten und zusammen mit anderen linksgerichteten Parteien, so etwa die „Gemeinsame arabische Liste“ eine Koalition bilden.
Heute Morgen musste ich feststellen, dass ich wieder einmal geträumt habe.

Die „Likud“ hat gewonnen. Nach letzten Auszählungen fallen ihr 30 der 120 zu verteilenden Sitze in der Knesset zu - „Bibis Comback“, wie die HAARETZ titelte -, dem „ZL“ 24 und der „Gemeinsamen arabischen Liste“ 14.
Das Einzige, was mir ein Grinsen ins Gesicht gezaubert hat, war die Tatsache, dass der Zusammenschluss diverser kleiner Parteien, die Avigdor Lieberman mit der Höherstellung der Prozenthürde aus dem Parlament ausschließen wollte, die drittstärkste Partei ist.
Ansonsten bin ich sehr traurig.

Israel hatte die Chance, das Land auf den Weg von sozialer Gerechtigkeit und einem neuen Friedensprozess zu bringen.
Aber wie auch bei uns, scheint vielen Bürgern das Schicksal und die Zukunft ihres Landes und das eigene recht wenig zu interessieren. Gerade einmal 66,6 % der wahlberechtigten Bürger hatten gewählt.

Benjamin Netanjahu wird wohl erneut zum Ministerpräsidenten gewählt werden und das Parlament ernennen.
Die Partei, die traditionell an dem Plan festhält, die besetzten Gebiete erst einmal zu behalten, ist die stärkste Kraft. Ihr Kopf sagte am vergangenen Montag: „Mit mir gibt es keinen Palästinenserstaat.“ Die Chancen stehen gut, dass Avigdor Lieberman, der aufrief, illoyalen Arabern den Kopf abzuschlagen, wieder zum Außenminister berufen wird.
Religiös ausgerichtete Parteien, wie die „Shas“ – Sefardische Tora-Wächter – und die Partei „Vereinigtes Tora-Judentum“, die verantwortlich dafür sind, dass Israel noch immer keine Verfassung hat und die Rechtsprechung in alleiniger Hand von Rabbinern wissen wollen, werden Ministerposten erhalten.
Die Annäherung an diese Parteien und ihre Ideologie hatte zum Zusammenbruch des Parlaments und den vorgezogenen Neuwahlen geführt. Benjamin Netanjahu wollte dem Parlament den Vorschlag vorlegen, Israel zu einem jüdischen Staat zu erklären. Dadurch wären alle nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen per Grundgesetz diskriminiert.

Mit diesem durchgespielten Szenarium kann es keine soziale Gerechtigkeit in Israel und keinen Frieden in der Region Palästina geben.
Ich glaube nicht daran, dass die Friedensgespräche nach dem Gaza-Krieg im vergangenen Sommer, die letztmals am 23. September 2014 stattgefunden hatten, weitergeführt werden.
Neben dem, dass Bibi, einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967, wie er bereits vor der UN-Vollversammlung anerkannt wurde und selbst von den USA favorisiert wird, ablehnt, gibt er sich in der Siedlungsfrage unnachgiebig. Er bezeichnet sie „aus internationaler Sicht“ illegal und wird keine räumen lassen.
In seiner Wahlkampfrede, durch die er die radikal-religiösen Siedler auf seine Seite ziehen wollte, und es wahrscheinlich zum Teil auch geschafft hat, sorgte er sich, dass die Hamas 400 m von seinem Haus entfernt stehe, wenn er o.g. Grenzen anerkennen würde. Ich denke, dass sie in diesem Moment ihre Autos volltanken.
Auch der Frieden im Nahen Osten ist mit Netanjahu als Ministerpräsident gefährdet. Drängt er doch die USA zu einem militärischen Schlag gegen den Iran. Zu dem sich glücklicher Weise der große Bruder noch nicht hinreißen lässt.
Das einzige auf das Bibi hoffen kann ist, dass die traditionell uneins seienden Araber, dass auch weiterhin sind und sich nicht auf einen Nenner einigen können.

Ich betone es zum wiederholten Male: Ich spreche dem Staat Israel nicht das Existenzrecht ab! – Auch wenn ich bei dem Gedanken daran, wie es zu seiner Gründung kam, unter Bauschmerzen leide. - Aber ich spreche ihm das Recht ab, über Verträge und Recht hinwegzugehen.
Vielleicht denke ich zu naiv, kann gut möglich sein. Aber meiner Meinung nach hat Politik die Aufgabe für Gerechtigkeit zu sorgen. Und gerecht ist es für mich in keiner Weise, wenn andere am Hochkommen gehindert werden.

Israel steht an der Spitze der Weltrangliste in vielen Forschungsdisziplinen. Die Universitäten von Jerusalem, Tel Aviv, Ramat Gan, Haifa und Beer Sheba genießen Weltruf, während die palästinensischen Universitäten von Gaza, Bethlehem, Bir Zait, Hebron, Nablus und die Al-Quds-Universität in Jerusalem ums Überleben und um Anerkennung Tag für Tag kämpfen müssen. Und selbst wenn es um eine Büroklammer geht, auf ausländische Spenden angewiesen sind. Systematisch wird der Auftrag dieser Bildungseinrichtungen von Seiten des israelischen Staates torpediert. So wird etwa Professoren und Dozenten zeitweilig der Zutritt zu den Einrichtungen verwehrt. Selbes passiert Studenten, so dass oft keine Vorlesung stattfinden kann, weil keiner da ist. Immer wieder kommt es vor, dass Vorlesungen gestürmt werden, mit der Begründung, dass diese Tarnung für radikale Zusammenkünfte sind. Ich könnte die Liste ellenlang fortführen.

Israel erwirtschaftete 2013 ein Bruttoinlandsprodukt von 290,6 Milliarden $, Palästina in Höhe von 11,26 Milliarden $.
Die palästinensische Wirtschaft ist von Israel abhängig. Alle Exporte und Importe unterliegen der Zustimmung und Genehmigung der israelischen Behörden. Eine Verbesserung der Privatwirtschaft wird durch Einschränkungen, Abriegelung nach außen (Kontrollpunkte, Erdwälle, Aufschüttungen, Absperrungen und Straßenblockaden), Zerstörung der Infrastruktur und dem Siedlungsbau verhindert.
In Israel lag die Arbeitslosenquote 2014 bei 6,7 %, in Palästina bei 26,5 %.
Das Durchschnittseinkommen in Israel beträgt ca. 2.276 €. Das Durchschnittseinkommen der in Israel und den israelischen Siedlungen beschäftigten Palästinensern 44,11 €.
2014 waren 3,2 % der zwischen 10 und 17 Jahre alten palästinensischen Kinder beschäftigt. (Quelle: giz - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit)

Irgendwie habe ich das Bild vor meinem geistigen Auge, während ich diesen Text schreibe, dass Israel zum Mond fliegt und Palästina im Dreck wühlt. Mit Verlaub, diese Arroganz kotzt mich an. Zwei Völker, die beide das Anrecht besitzen in diesem Land zu leben, sind Lichtjahre voneinander entfernt.
Benjamin Netanjahu sorgt sich um die Sicherheit Israels. Mit Recht. Jedem Staatsoberhaupt sollte die Sicherheit seines Landes vor Allem gehen. Aber bitte … Israel ist doch verantwortlich für die unsichere Lage, in der es sich befindet. Nach oben kommen, auf den Kosten anderer, dass kann auf Dauer nicht gut gehen. Die Misere, unter der die Palästinenser seit Jahrzehnten leiden, ist der Nährboden für radikale Gruppen, wie etwa die Hamas.
Die Israelischen Wähler hätten gut daran getan, sich an die Worte ihres ehemaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin zu erinnern: „Wenn du dein Land liebst, musst du diejenigen hassen, die es unterjochen. Wenn du dein Land liebst, musst du diejenigen hassen, die es besetzen. Und du musst kämpfen, mit allen Mittel, denn nur wer kämpft, der lebt.“

Ein Facebook-Freund aus Gaza schrieb mir letztens: Er will ein Teil der Gemeinschaft sein. Er möchte einem Staat angehören, wo es Baugenehmigungen auf palästinensischem Land gibt, keine Enteignungen, keine Zerstörung von palästinensischen landwirtschaftlichen Flächen. Er will nach dem Aufwachen keine Gedanken ans Überleben verschwenden und wie er seine Kinder satt bekommt. Er möchte seine Kinder erziehen, seine Phantasie trainieren und Dinge erschaffen. Es fällt ihm jeden Tag schwerer aufzustehen und sich auf die Jagd nach Dingen zu machen, die die Israelis für selbstverständlich halten. Mit Benjamin Netanjahu und Avigdor Lieberman sieht er die Existenz der Palästinenser als gefährdet.

Womit ich wieder bei meinem Traum angekommen bin, den ich bis heute morgen geträumt habe.

Yitzhak Herzog versprach soziale Gerechtigkeit. Er war einer der Minister, der sich gegen den „jüdischen Staat“ ausgesprochen hatte. Er steht einer Partei vor, die betreffend der besetzten Gebiete auf Verhandlungen setzt, einen Rückzug nicht gänzlich ausschließt, Landtausch für möglich hält und die wirtschaftlichen und sozialen Einschränkungen der Palästinenser aufheben will.
Ich weiß nicht, inwieweit er alle seine Vorhaben hätte umsetzen können. Aber ich weiß, dass er die Chance auf Frieden und die Chance für Israel gewesen wäre.


1 Kommentar:

  1. Da fehlen einem echt die Worte :-(
    Man könnte sie unendlich drüber aufregen. So eine Chance wär das gewesen

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