Sonntag, 5. Juli 2015

SPD im Umfragetief - Berater sollen helfen



Die SPD hätte doch bei mir anfragen können. Ich hätte sie für einen Bruchteil dessen beraten, was jetzt mit meinem Mitgliedsbeitrag gezahlt wird. Es wäre deswegen sehr viel billiger gekommen, weil mein Gespräch mit Herrn Gabriel und Frau Nahles nicht viel länger als eine halbe Stunde gedauert hätte. Der Kaffee bereits inbegriffen. Ich hätte keine Statistiken ausgewertet, Mitglieds- oder Bürgerbefragungen durchgeführt und ich hätte keine vierfarbigen Hochglanzdrucke an die Parteispitze ausgegeben. Ich hätte Herrn Gabriel und Frau Nahles ganz einfach geraten sich auf die Werte der SPD zu besinnen:

Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Für diese Werte, die die Grundlage einer besseren Gesellschaft sind, haben die Gründerväter und viele der nachfolgenden Generationen gekämpft. Die Stärke, der Mut und die Entschlossenheit, die noch so kleine SPD-Politiker versprüht haben, bewogen mich als Jugendliche der Partei beizutreten.
Für viele Jahre kann ich sagen, war mein Verhältnis zur SPD wie zu einem guten Freund: Ich fühlte mich aufgehoben und verstanden, auch wenn ich nicht immer einer Meinung sein konnte. Ich verstand aber, dass Entscheidungen und Handlungen Voraussetzungen schaffen sollen, dass für alle Bürger unseres Landes einheitliche Chancen zur Verfügung gestellt werden, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion.
So habe ich z.B. »Hartz-IV« verteidigt und tue es immer noch. Eine bessere Gesellschaft kann nicht dadurch entstehen, dass nur ein Teil die Verantwortung übernimmt. Verantwortung für sein Leben hat jeder Einzelne selbst zu tragen. Die Gesellschaft -  Bürger, Beschäftigte, Beamte, Selbständige, Freiberufler, die Wirtschaft und die Politik - hat die Verpflichtung zu erfüllen, ihm den Rücken stärken.
Der Politik fällt hierbei ein bei Weitem größeres Gewicht zu. Sie muss die rechtlichen und materiellen Voraussetzungen für Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit schaffen, was für inneren Frieden und für Stabilität von immenser Wichtigkeit ist. Diesen Part hat vor über 150 Jahren die SPD übernommen und ihn lange verantwortungsvoll ausgeübt.
So trat unter Willy Brandt als Bundeskanzler 1971 das BAföG in Kraft. Ein wichtiger Schritt für soziale Gerechtigkeit. Kindern aus Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen ist es möglich, sich über den die Regelschule ausgebenden beruflichen Werdegang hinaus weiterzubilden.
Die erschreckende Erkenntnis der Jahre meiner Mitgliedschaft ist, dass die SPD mehr und mehr ihren Auftrag vergisst, den sie sich zugegebener Maßen selbst erteilt hat.
Als aktuelle Beispiele sollen die Tarifeinheit und TTIP stehen.

Hier wird deutlich, dass die Freiheit des Menschen entgegen der Grundwertekommission der SPD auf die Freiheit des Marktes reduziert wird. »Politik muss dafür sorgen, dass nicht zur bloßen Ware wird, was nicht zur Ware werden darf: Recht, Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kultur, natürliche Umwelt. ... Weil wir an diesem Ziel festhalten, bestehen wir auf dem Primat demokratischer Politik und widersprechen der Unterwerfung des Politischen unter das Ökonomische ... Die Demokratie wird sich in Zukunft darin bewähren müssen, dass sie den Zugang zu [diesen] öffentlichen Gütern gewährleistet, die politische Verantwortung für die Daseinsvorsorge behauptet, die eine gerechte Verteilung von Lebenschancen erst ermöglicht. Das ist in einer Welt knapper werdender Ressourcen mehr denn je erforderlich und darf nicht dem Markt überlassen werden. Für uns ist der Markt ein notwendiges und anderen wirtschaftlichen Koordinierungsformen überlegenes Mittel. Der sich selbst überlassene Markt ist jedoch sozial und ökologisch blind. ... Damit der Markt seine positive Wirksamkeit entfalten kann, bedarf er der Regeln, eines sanktionsfähigen Staates, wirkungsvoller Gesetze und fairer Preisbildung.... »
Ob es sinnig ist, dass sich in einem Unternehmen mehrere Gewerkschaften finden, darüber hat Politik nicht zu entscheiden. Insbesondere keine Partei, die sich in und für Arbeiterkämpfe einen Namen machte und Zuspruch erhielt. Frau Nahles‹ Gesetzentwurf zur Tarifeinheit zielt auf die Bedürfnisse des Marktes ab und lässt die Außen vor, um deren Verlust die SPD sich nun grämt: die Menschen, die Beschäftigten, ihre Wähler.
Deutschland wird sich die Möglichkeit nehmen, politische Verantwortung für öffentliche Güter und Daseinsvorsorge, für die gerechte Verteilung von Lebenschancen zu tragen, wenn es zum Abschluss des Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP) kommt.
Wenn ich mir die Auswertung des Papiers „ TTIP und die sozialdemokratischen Grundwerte – ein Konflikt? “ der Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD im Januar 2015 durchlese, frage ich mich ernsthaft, ob meine Partei mich noch als mündigen Bürger, Wähler und mündiges Mitglied sieht.
Dass eine Partei, die für die Gerechtigkeit bei der Teilhabe an Bildung, Arbeit, öffentlichen Gütern und Kultur steht, einem Abkommen zustimmen kann, der all das beschneiden wird, geht mir nicht in den Kopf. Und es wird auch nicht durch Schönfärberei, intelligente Worte und Satzstellung besser.
Hier wird ganz klar gegen einen Grundwert der SPD verstoßen: Das Politische nicht dem Ökonomischen zu unterwerfen.
Viele Bürger unseres Landes fühlen sich nicht ausreichend gesichert und von der Partei, die sie vertreten soll, zudem alleingelassen. Einkommen und Vermögen sind ungleich verteilt. Leistung wird nicht mehr anerkannt. Der Mensch wird zu einer »Schiffsschraube« und ist nicht mehr der Anker, mit dem die Wirtschaft, die Politik und die Gesellschaft Halt in tosenden Gewässern findet. Gerechtigkeit wird auf den Rechtsstaat und Solidarität auf Armenfürsorge reduziert. Es ist der »Job« der Konservativen und der Liberalen das zu tun. Der »Job« der SPD ist es, dagegen Position zu beziehen.

Bildergebnis für Uli stein dagegen
Uli Stein

Die Globalisierung bringt viele Anforderungen an Gesellschaften und Politik mit sich. Es tut mir leid, wenn die aktuelle Spitze der SPD sich nicht in der Lage sieht, diesen gewachsen zu sein, dann muss sie gehen. Nichts anderes sagen die Umfragewerte aus. Und ich lasse jetzt offen, ob Unfähigkeit, Bequemlichkeit oder Gier die Gründe sind.
Unsere Gesellschaft verlangt nach einer Ordnung, welche die bürgerlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Grundrechte und Grundwerte garantiert. Ich will nicht absprechen, dass es harte Arbeit und Verhandlungsgeschick und viel Wissen bedeutet, konservative sowie liberale Grundwerte mit sozialdemokratischen Grundwerten zu einer Einheit zu formen. Aber wie an weiter oben genannten Beispiel des BAföGs gesehen, ist es möglich. Es braucht nur Mut und Ideen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Eltern mit hohem Bildungsniveau und hoher gesellschaftlicher Stellung sich nicht begeistert zeigten, als mit einem Mal der Sohn oder die Tochter eines Fabrikarbeiters neben dem eigenen Kind auf der Schulbank saß.
Unter der Führung der SPD wurde ein Gesetz verabschiedet, das soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Interessen nicht gegeneinander ausschließt. Durch die »Aktivierung des Potentials« können Industrie und Wirtschaft auf gut ausgebildete Fachkräfte zurückgreifen. Den Bürgern werden gleiche Lebenschancen geboten. Jedem ist es möglich, sich entsprechend seiner Neigungen und Fähigkeiten zu entfalten.

All das würde ich Herrn Gabriel nicht sagen. Ich spreche ihm so viel Intelligenz zu, dass er es selbst erkennen kann.
Ihm würde ich sagen: »Die SPD wird zu alter Stärke zurückfinden, sobald sie sich auf ihre Wurzeln besinnt: Widerstand gegen die ökonomische Dominanz und Eintritt für Nachhaltigkeit.«



1 Kommentar:

  1. Liebe Julia, Du denkst es, Du postest es! In klaren Worten für alle verständlich! Wenn Du nur Steine ins Rollen bringen könntest.
    Dein Schlusssatz ist genau der Punkt der heute sehr sehr wichtig ist für alle Menschen auf der Welt.
    Widerstand gegen die ökonomische Dominanz und Eintritt für Nachhaltigkeit.

    AntwortenLöschen